Christian Schocher

Der 18-jährige rockverrückte Bergbauernsohn Lüzza fährt mit einem geborgten Jeep von seinem Bündner Dorf durch einen unwirklich langen Tunnel und gelangt geradewegs auf den Zürcher Bellevueplatz. In dieser für ihn neuen Welt blickt er quasi von unten auf die blankgeputzte Bankenstadt, in dokumentarischen Sequenzen folgen zahlreiche Begegnungen mit Gestrauchelten und Gestrandeten aller Couleur. Eine Ode an die Zürcher Gegenkultur der 80er-Jahre – halb dokumentarisch, halb märchenhaft.

«Das Blut an den Lippen des Liebenden» ist ein stilisierter Alpenwestern, der sowohl Christian Schochers Jugendidol Ingmar Bergman als auch den Italo-Western Sergio Leones und Sergio Corbuccis die Reverenz erweist. «Die Geschichte einer Heimkehr, die unter keinem guten Stern steht, und einer tragisch endenden Liebe. Die mit Mustern des Western und des Melodramas inszenierte Odyssee erweist sich als holperig-verquere Geschichte, dennoch vermittelt der mit bescheidenen Mitteln gedrehte Film ein Gefühl genereller Ausweglosigkeit.» (kabeleins.ch/filmlexikon).

Der mit einfachsten Mitteln produzierte Dokumentarfilm ist berührendes Zeitdokument und grosses poetisches Kino in einem. Ausgangspunkt ist ein Theaterstück, das der Lehrer Heinz Lüdi mit seinen Schülern inszeniert und von Schocher gefilmt wird. «In den siebziger Jahren war mein Jugendfreund Heinz Lüdi Lehrer in Furna, einem kleinen Bergbauerndorf im Prättigau. Dank ihm konnte ich meinen ersten Film realisieren, das Porträt dieses Dorfes und seiner Kinder, die von ihrem Alltag, ihren Wünschen und Träumen erzählen.» (C. Schocher)

Schochers berühmtestes Werk «Reisender Krieger» ist längst zum Mythos geworden: «Wer ihn einmal gesehen hat, bringt ihn nie mehr aus dem Kopf, den Krieger (Marcel Elsener, WOZ, 04/2015).» Als Parfüm- und Kosmetikvertreter im Trenchcoat reist Krieger mit seiner Firma Blue Eye und dem Slogan «So wird d’Schwiiz schmöcke, dää Winter» durch die Betonschweiz. Eine Figur, ebenso irisierend wie die dokumentarischen Szenerien in den Kneipen, Einkaufshäusern und Coiffeursalons, die Schocher mit seiner Kleinst-Crew einzufangen wusste.